In den letzten fünf Monaten erschienen mehr Releases als im gesamten Jahr zuvor, die Zahl der Labels hat sich vervielfältigt und die interessierte Presse sowie die genauestens dokumentierenden Blogs sind daran, die Standards und Grenzen dieses Subgenres abzustecken. Einige wenige Veröffentlichungen fangen an, ähnlich zu klingen, verschiedene Verästelungen wie Halfstep und Breakstep haben sich etabliert und die älteren Labels entwickeln ihre individuelle Handschrift. Eine Szene wächst – nun immer schneller – aus ihren Kinderschuhen.
Zurzeit erscheinen zwei Alben, die man zugleich als Marksteine und zwischenzeitliche Höhepunkte der jüngeren Entwicklung definieren kann: Boxcutters «Oneiric» (siehe auch die Kritik weiter unten) und Burials selbstbetiteltes Werk, beides Debüts. Boxcutter gab seinen Einstand vor nicht mal einem Jahr mit «Brood», einer 12″ auf Hotflush. Burial kennt man von einer EP auf Hyperdub, auch diese kein Jahr alt. Was allerdings auf diesen beiden Alben zu hören ist, stellt nicht nur alles bisher Veröffentlichte in den Schatten, sondern verweist darüberhinaus auf Richtungen, in die sich die Musik entwickeln könnte, und Werte, auf die sie sich zurückbesinnen könnte. Burials Album, von dem ich noch immer keine offizielle Kopie bekommen und somit nur in Auszügen gehört habe, besinnt sich zurück auf swingende Rhythmen, die an die Beats der frühen Horsepower Productions erinnern, auf das melancholisch-euphorische Gefühl, das ein warmer, runder Bass auslösen kann, aber auch auf grundlegende und «primitive» Produktionsmethoden (das ganze Album wurde mit dem simplen Soundeditor «Soundforge» zusammengeschnipselt). Dies alles läuft dem Trend aktueller Veröffentlichungen zur Minimalisierung und Dekonstruktion der Rhythmen und immer aufwändigeren Produktionen diametral entgegen, entfaltet dadurch jedoch eine Signalwirkung, die hoffentlich nicht ohne Folgen bleibt. Boxcutters Album hingegen stürmt vorwärts, sprengt Grenzen und Erwartungen, vermischt Neues mit Bewährtem und verwendet Dubstep genaugenommen nur noch als Fundament und Resonanzboden, auf dem sich alles Mögliche ausprobieren und entwickeln lässt, vom poppigem Ambient bis zum hypereditierten Breakbeatspektakel.
Die Fans und auch Produzenten sind noch wendig und hungrig genug, diese beiden Alben zu schätzen und ihren Einfluss über den grünen Klee zu loben. Es ist ein gutes Zeichen und stimmt erwartungsfroh, dass noch immer eine grosse Offenheit und Negierde gegenüber Neuem und Ungewohntem vorhanden ist. Denn dies ist die beste Voraussetzung dafür, dass es Musiker und DJs gibt, die Bestehendes weiterentwickeln und vorwärtstreiben, ob im Studio oder im Club.
erschienen am 05.06.2006 im kommerz.ch onlinemagazin